Das Eigene und das Fremde (in mir): Eine der „Grundspielarten“ des Komponierens

Dieses Projekt steht prototypisch für eine eigentlich gängige Art des Komponierens.

In seiner individuellen Ausprägung – der Arbeit an Fusionierungsmöglichkeiten von Bön und elektroakustischen Kompositionsmethoden – trägt es seine eigenen, speziellen Züge.
Aber das „Framework“, in das es eingebettet ist, ist für einen großen Teil der Komponistinnen und Komponisten eine der bekanntesten prozeduralen Formen bei der Herstellung einer Komposition: Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kompositorischen Systemen, musikalischen Sprachen und ihren kulturellen Kontexten.

Dies ist nichts Neues und lässt sich über die Jahrhunderte überall in der Musikgeschichte finden. Bereits Bach setzte sich mit der Musik Italiens, Dvořák mit Elementen der afroamerikanischen Musikszene Amerikas und Debussy mit indonesischer Gamelanmusik auseinander – um in aller Kürze nur einige der gängigsten Beispiele zu nennen.

Genauso gab und gibt es außerdem schon immer die Gruppe der Komponistinnen und Komponisten, die von klein auf in zwei oder mehreren Kulturen und musikalischen Sprachen gleichzeitig sozialisiert wurden, und es gibt jene, die auf Grund von Emigration oder bewusster Entscheidung eine zweite musikalische Sprache erworben haben und diese versuchen, mit der musikalischen Sprache zu verbinden, in der sie sozialisiert wurden.
Genannt seien hier z.B. Fraghiz Ali-Zadeh, die ihr in Studienzeiten u.a. stark von der zweiten Wiener Schule gesprägtes pianistisches und kompositorisches Können mit den Prinzipien der azerbaidschanischen Muğam-Komposition verbindet [1]. Auch Zad Moultaka, der als Komponist und bildender Künstler nicht nur musikalische Sprachen sondern auch künstlerische Genres zusammenführt [2], oder Samir Odeh-Tamimi [3] gehen ähnliche Wege in Bezug auf die Fusion von westlicher Avantgarde und den musikalischen Systemen und Ausdrucksmöglichkeiten arabischer Musik.

Einer derer, die den geographisch umgekehrten Weg gehen, ist zudem Klaus Huber, der sich, wie Bijan Tavili es zur Zeit untersucht, intensiv mit Kompositionstechniken aus dem Gebiet der Levante auseinandersetzt [4].

Man muss sich aber eigentlich weder räumlich noch zeitlich besonders weit weg bewegen, um Beispiele für dieselbe Zielsetzung und Herausforderung zu finden, die auch diesem Projekt zu Grunde liegen. Ein Großteil der westlichen Gesellschaft ist durch die Partizipation an verschiedenen Subkulturen in unterschiedlichen musikalischen und kulturellen Systemen gleichzeitig beheimatet, ohne dass dies auf bikulturelle Eltern oder einen persönlichen Migrationshintergrund zurückzuführen wäre.

Genre- und spartenübergreifendes Denken wie die Fusion von verschiedenen künstlerischen Disziplinen (Tanz, bildende Kunst, Musik, Literatur, etc.) ist letztendlich eine weitere Ausprägung desselben künstlerischen Handelns, das auch allen anderen bis hierher aufgezählten Beispielen zu Grunde liegt: Das Interesse an Fusion von Verschiedenem, sei es, dass dieses Verschiedene vollständig in mir liegt oder ich ihm als etwas außer mir Liegendes begegne (oder es als solches empfinde), zu dem ich mich durch den künstlerischn Prozess in ein Verhältnis setzen will.

Die Auseinandersetzung mit dem, was „anders“ ist, und die Freude an der Verbindung verschiedener künstlerischer Sprachen und Systeme kann man also, so meine ich, als eine der verschiedenen „Grundspielarten“ (auch) des Komponistenberufes bezeichnen.

Dieses Projekt möchte, soweit dies möglich ist, anhand der Beschäftigung mit und Einarbeitung in die Denkweisen des tibetischen Yungdrung Bön und dessen Sichtweise auf und Umgang mit Musik nicht zuletzt einen weiteren Beitrag dazu leisten, Einblicke in Überlegungen und Vorgehensweisen dieser kompositorisch-künstlerischen Grundspielart zu ermöglichen.

[1] Homepage von Franghiz Ali-Zadeh: http://ali-sade.narod.ru/  -> Aber ist das günstig für die Komponistin? Die Homepage ist nicht sehr „wertig“.

[2] Homepage Zad Moultaka: http://zadmoultaka.com/musique/

[3] vgl. https://de.karstenwitt.com/samir-odeh-tamimi

[4] vgl. Keller, Kjell (2004): „Klaus Huber und die arabische Musik. Begegnungen, Entgrenzungen, Berührungen.“ In: Dissonanz. #88. Dezember 04. und Kunkel, Michael (2004): „Figuren des Widerspruchs. Klaus Hubers „Zwei Sätze für sieben Blechbläser“ (1957/58). in: Dissonanz. #88. Dezember 04.